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Montag, 30. Mai 2011

"Es rast der See und will sein Opfer haben"


… lese ich gerade in den Ausführungen von Karl Kraus über das Wörtchen „Es“ in der Fackel. Ich googelte nach dem Zitat und stutzte: Kein einziger Treffer zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell, aus dem es stammt, über die Google-Buchsuche. Stattdessen ein Hinweis: „Da [Es] rast der See …“ Und siehe da, Karl Kraus und manch andere haben Schiller falsch zitiert. Tatsächlich sagt Ruodi der Fischer im 1. Aufzug, 1. Szene:
Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind, / Es kann nicht seyn; ‘s ist heut Simons und Judä, / Da ras’t* der See und will sein Opfer haben. 
Stopp.  Ich muss mich korrigieren. Karl Kraus hat später seinen Fehler erkannt und schreibt in seinem Buch Die Sprache auf S. 74:
Man beachte den Unterschied zwischen dem Gedicht „Es rast der See und will sein Opfer haben“ (in der landläufigen Zitierung) und dem Bericht: „der See rast und will sein Opfer haben“.
– Wobei mir allerdings nicht ganz klar ist, warum er von Gedicht spricht, wo das Zitat doch aus einem Schauspiel ist. –

Dafür, dass das Zitat aus Frankreich kommt, wie es in den Wöchenlichen Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg vom 14. 5. 1872 heißt, habe ich keinen Beleg gefunden. Möglich wäre es. Für Hinweise wäre ich sehr dankbar.

*= raset. Karl Ferdinand Becker schreibt dazu: „Es ist zu tadeln, wenn man in diesen Fällen st schreibt, weil dadurch oft die Abstammung des Wortes unkenntlich gemacht wird z. B. in: rast, beeist, bemoost, genest.“ (In Ausführliche deutsche Grammatik als Kommentar der Schulgrammatik. Hermann’sche Buchhandlung 1836,  S. 34).  Und Heinrich Bauer schreibt: „(…) (,deren Apostroph man aber billig nie weglassen sollte: reist oder gar rast, wo jeder das a wie in Rast schärfen würde, (… ).“ (In Vollständige Grammatik der neuhochdeutschen Sprache. Reimer 1830, S. 140)

Aber schon in späteren Ausgaben des Tells wurde das  Apostroph trotz der Ermahnung von Becker und Bauer weggelassen, und seither heißt es

Da rast der See und will sein Opfer haben.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel …


Men do not stumble over mountains, but over mole hills* –

sagt Konfuzius (551–479 v. Chr.). Oder sind diese weisen Worte aus dem Hinduismus, eine chinesische Weisheit, Mutterns Worte oder gar von Samuel Butler? Oder ist eine dieser Versionen richtig, die man so im Internet findet?

Der Mensch stolpert nicht über Berge, sondern über einen Ameisenhaufen.
Der Mensch stolpert über den Ameisenhaufen und nicht übers Gebirge.
Menschen stolpern über Steine, nicht über Berge.
Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über kleine Steine.
Könige stolpern über Kieselsteine – sie scheitern nicht an Bergen.
Könige stolpern über Kieselsteine – nicht über Berge.

Belegt ist dieses Zitat von Lü Bu Wie (um 300–235 v. Chr.):
Das kam daher, daß kleine Dinge nicht wichtig genommen werden. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er nicht über einen Berg stolpert, wohl aber über einen Ameisenhügel.
(In Lü Bu Wie: Frühling und Herbst des Lü Bu We. S. E. Diederichs 1928,  S. 446).
Von einem weiteren ähnlichen Zitat ist nur der Urheber – Han Fe Dse (auch Han Fei Tzu) (280–233 v. Chr.) – bekannt. Die Quelle habe ich nicht gefunden. Allerdings soll es aus einem verloren gegangen Text stammen, da es so in keinem der frühen historischen oder bibliogaphischen Abhandlungen genannt wird. Es wird deshalb empfohlen, es als „Ausspruch eines früheren Weisen“ zu zitieren (siehe Liu An, King of Huain et al.:  The Huainanzi: A Guide to the Theory and Practice of Government in Early Han China. Columbia University Press 2010, S. 721):
Der Mensch stolpert nicht über Berge, sondern über  einen Ameisenhaufen.
People often trip on ant-hills, but no one stumbles over a mountain.
L'uomo non inciampa contro le montagne, ma piuttosto contro un formicaio.
Zu der Version, dass Riesen nicht über Berge stürzen, sondern über Maulwurfshügel stolpern, wie ein altes russisches Sprichwort heißen soll, habe ich nichts gefunden.

 „Projekte stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel“ ist sozusagen geklaut –  von wem eigentlich, wenn es eh nicht von Konfuzius ist –, aber schön sind die Antworten von Maxi Wander „Jeder muß über seine eigenen Steine stolpern, das ist ja das Verrückte“ in Guten Morgen, du Schöne: Frauen in der DDR, Protokolle (Luchterhand 1979, S. 112) und Heinrich Laube „Über Berge mag er stolpern können, aber es ist ein Jammer, daß er über jeden Maulwurfshaufen fällt“ in Das junge Europa; zeno.org.

*„Men do not stumble over mountains, but over molehills” wird auch Samuel Butler zugeschrieben mit der Quellenangabe „Hudibras Part I, Canto III, Line 878“. Das kann aber nicht stimmen. Denn Line 877/878
lautet: "I am not now in fortune's power: He that is down can fall no lower". Auch in Part II und III gibt es dieses Zitat nicht.

Weitere englische Versionen des Zitats lauten:

People do not stumble over a mountain, they stumble over a molehill.
Whatever mole-hill he stumbles upon, he makes a mountain of it.
Nobody stumbles against a mountain, but everybody trips over an ant-hill.
No one stumbles over a mountain, but people do trip over anthills.

Das Zitat „Though not stumbling over a mountain, we stumble over an anthill“ soll wiederum auf dem japanischen Sprichwort „Yama ni tsumazukazu shite ari-zuka ni tsumazuku“ beruhen (Quelle siehe hier).

Vielleicht war all diesen als Urheber Genannten das Zitat von Konfuzius bekannt und sie haben es nur übernommen. Konfuzius als Urheber anzugeben, ist zumindest problematisch.

Montag, 23. Mai 2011

Friedrich der Große über Moscheen und Toleranz


Einer der bekanntesten Aussprüche Friedrich des Großen, König von Preußen, lautet:

„Und wenn Türken nach Berlin kommen, so wollen wir Moscheen für sie bauen; wenn sie nur unser Land bevölkern.“

Aber so hat das der König gar nicht gesagt. Tatsächlich schreibt er als Antwort an den Rand des Immediat-Berichts des General-Directoriums vom 15. 6. 1740, in dem er gebeten wird, einem Katholiken das Bürgerrecht im evangelischen Frankfurt [an der Oder] zu verleihen:
alle Religionen Seindt gleich und guht wan nuhr die leüte so sie profesiren Erliche leüte seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land Pöpliren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen. (Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.)*
(Quelle: Preußen und di(e katholische Kirche seit 1640)
Doch Friedrich II. wollte nicht nur Türken, sondern auch Tartaren ansieden. So schreibt er in einem Edikt an den Kammerdirektor v. Gaudi über die „Ansetzung von Tataren in Westpreußen“ vom 22. 7. 1775:
Ich habe Euch in Meiner Orde vom 7. Juni wegen der in dortiger Provintz zu machenden Verbesserungen unter andern Euch auch aufgetragen, Euch zu bemühen, die in Polen sich aufhaltenden Tartaren zu persuadiren, dass selbige sich in Meinen Landen niederlassen, und zwar in der Gegend an dem Goplower See herum gegen die Polnische Grentze, in so weit dieser See und die vielen Moräste nur urbar gemacht werden können. Ihr habt Mir aber noch nichts darüber gemeldet, wie weit Ihr darin gekommen seyd und was Ihr deshalb für Hoffnung habet. Da nun gegenwärtig ein Obrister von diesen Tartaren, Nahmens Zacharias Murza Baramowsky an Mich geschrieben und ein Regiment von ihnen zu errichten sich offeriret, so habe denselben Meine eigentliche Intention bekandt gemacht, dass Ich es nemlich gerne sehen würde, wenn diese Leute sich gantz und gar in Meinen Landen in der obbenannten Gegend etabliren wollten, und dass er sich dieserwegen an Euch adressiren und Über die Sache weiter tractiren könne.
Ihr werdet demnach Euch alle ersinnliche Muhe geben, gemeinschaftlich mit dem v. Domhurdt zu bewürcken, wie diese Leute zu gewinnen und in's Land gezogen werden können. Ich will ihnen gerne erlauben, Moscheen zu bauen und sollen sie allen Schutz geniessen. 
(Siehe auch: Rudolph Stadelmann: Preussens Könige in ihrer Thätigkeit für die Landescultur. Hirzel, 1882, S. 416)
In einer Randverfügung zum Immediat-Berich des Geistlichen Departements vom 22. Juni 1740, in dem es um Schulen für römisch-katholische Soldatenkinder geht, die „zu allerhand Inconvenientien“ führten, schreibt Friedrich der Große seinen wohl berühmtesten Ausspruch:

„Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der fiscal nuhr das auge darauf haben das Keine der andern abruch Tuhe, denn hier mus ein jeder nach seiner Fasson Seelich werden.“*
(Quelle: Preußen und die katholische Kirche seit 1640)

*Das Faksimile findet sich auf http://www.gsta.spk-berlin.de/ansichtskarten_uAe_463.html?PAGE=artikel_detail&artikel_id=35

Dienstag, 17. Mai 2011

Catull, Ramler und Mörike über einen eingebildeten Dichterling und eigene Fehler


An den Varrus
(Catulls zwey und zwanzigstes Gedicht.)

Suffenus, den du kennst, mein Varrus, ist galant,
Sehr höflich, schwatzt mit viel Witz, und macht dabey
Nicht wenig Verse: wo mir recht ist, hat er wohl
Zehn tausend oder mehr geschrieben; nicht, wie sonst
Gewöhnlich ist, auf kleinen Täfelchen: o nein!
Sein Buch ist königlich Papier(1), der Umschlag neu,
Neu sind die Stäbchen, roth die Riemen(2); alles glatt
Von Bimsstein, und die Zeilen nach der Schnur gemacht.
Doch lies sein Werk! Der Weltmann, der so höfliche
Suffenus ist ganz Schäferknecht; nicht gröber ist
Ein Karrenschieber: so verwandelt ist er, so
Nicht mehr er selbst(3). Was heißt das? der von lustiger –
Ja mehr noch – possenhafter Laune war, der ist
Noch ungeschliffner, als das ungeschliffne Dorf,
So bald er Verse macht(4); fühlt bey den Versen sich
Glückseliger, als jemahls: so herzinniglich
Vergnügt er sich, so sehr bewundert er sich selbst(5.). –
Doch jeder fehlt auf gleiche Weise(6.); niemand lebt,
Der nicht in irgend einem  Stück Suffenus ist.
Sein eigner Irrthum, scheints, ist jedem ausgetheilt:
Nur sehn wir nicht den Sack, der uns vom Rücken hängt(7).

(1) Catulls charta regia können wir wörtlich übersetzen: unser größestes Papier heißt gleichfalls Rojalpapier, Königspapier
(2) Womit die Bücher zusammen gehalten wurden.
(3) Das Gemählde vom Suffunus scheint Catull nach der Natur gezeichnet zu haben. Ähnliche Charaktere findet man noch zu unseren Zeiten, wie folgende Stelle eines Briefes bezeuget „Sollten Sie wohl glauben, daß X., der als Schriftsteller einen so befehlshaberischen Ton annimmt, so erzgrob ist, die würdigsten Männer so verächtlich behandelt, daß eben dieser X. im Umgange gar nicht von sich eingenommen, sondern sehr nachgebend und höflich, ja so gar dehmüthig ist?“
(4) Diese groben satirischen Verse sind verloren gegangen. Es ist zu wünschen, daß kein Neuerer die Handschrift finden und übersetzen mag.
(5) Daß er es so gut gemacht hat; daß er es Andere so brav hat fühlen lassen.
(6.) Hier scheint der Dichter in sich zu gehen, und nachzudenken, ob er nicht einen ähnlichen Fehler begangen habe. Besser, diesen Vorwurf sich selbst zu machen, als ihn von andern zu hören.
(7.) Bezieht sich auf die alte Fabel, daß Jupiter einem jeden seine Fehler in einen Sacke auf den Rücken gelegt habe. Unsern eigenen Sack sehen wir nicht, sondern dessen nur, der vor uns geht. Eben dieses läßt auch Horaz den Damasippus sagen:
Wer mich närrisch nennt, er soll ein Gleiches hören; erfahren / Soll er, was ihm vom ungesehenen Rücken herabhängt. (2. Sat. III, 298 299.)
Und Persius: (IV. 3)
Nur den Sack auf den Rücken des vor uns Gehenden sehen wir.
Phädrus redet von den zwey Säcken, und meinet damit den Quersack, der in der Mitte seine Öffnung hat, und also im Grunde aus zwey Säcken besteht. In dem einen, sagt er, der uns vor der Brust hängt, sind die Fehler Anderer, und in dem, der uns über dem Rücken hängt, unsre eigenen eingeschlossen

Gaius Valerius Catullus (in der Übersetzung von Karl Wilhelm Ramler)

(In Berlinische Monatsschrift, Bd 17. Haude und Spener 1791, S. 109ff.;  siehe auch Karl Wilhelm Ramler: Kajus Valerius Kutullus: in einem Auszuge Lateinisch und Deutsch. Kummer 1793, S. 57ff.)

Suffenus iste, Vare, quem probe nosti,
Homo est venustus et dicax et urbanus,
Idemque longe plurimos facit versus.
Puto esse ego illi milia aut decem aut plura
Perscripta, nec sic ut fit in palimpsesto
Relata: chartae regiae, novei libri,
Novi umbilici, lora rubra, membrana
Directa plumbo, et pumice omnia aequata.
Haec cum legas tu, bellus ille et urbanus
Suffenus unus caprimulgus aut fossor
Rursus videtur: tantum abhorret ac mutat.
Hoc quid putemus esse? qui modo scurra
Aut siquid hac re tritius videbatur,
Idem infaceto est infacetior rure,
Simul poemata attigit, neque idem unquam
Aeque est beatus ac poema cum scribit:
Tam gaudet in se tamque se ipse miratur.
Nimirum idem omnes fallimur, neque est quisquam,
Quem non in aliqua re videre Suffenum
Possis. suus cuique attributus est error:
Sed non videmus, manticae quod in tergo est.
(In Q. Valerii Catulli Veronensis Liber. Reimer 1828, S. 12f.)

Poem 22. To Varus Abusing Suffenus*

That Suffenus, Varus, whom thou know’st right well, is a man fair spoken, witty and urbane, and one who makes of verses lengthy store. I think he has writ at full length ten thousand or more, nor are they set down, as of custum, on palimpsest: regal paper, new boards, unused bosses, red ribands, lead-ruled parchment, and all most evently pumiced. But when thou readest these, that refined and urbane Suffenus is seen on the contrary to be a mere goatherd or ditch-lout, so great and shocking is the change. What can we think of this? he who just now was seen a professed droll, or e’en shrewder than such in gay speech, this same becomes more boorish than a country boor immediatly he touches poesy, nor is the dolt e’er as self-content as when he writes in verse—so greatly is he pleased with himself, so much does himself admire. Natheless, we all thus go astry, nor is there any man in whom thou canst not see a Suffenus in some one point. Each of us has his assigned delusion: but we see not what’s in the wallet on our back.
(In Caius Valerius Catullus: The Carmina. 1894, S. 45f.; translated by Richard Burton)

Eduard Mörike dichtete Ramlers Übersetzung um:

An Varrus (auch Der eingebildete Dichterling)

Du kennst ja den Suffenus, Freund; er ist galant,
Sehr artig, schwatzt mit vielem Witz und macht dabei
Nicht wenig Verse: wo mir recht ist, hat er wohl
Zehntausend, oder mehr geschrieben; nicht wie sonst
Gewöhnlich ist, auf kleinen Täfelchen: o nein!
Sein Buch ist königlich Papier, der Umschlag neu,
Neu sind die Stäbchen, roth die Riemen. Alles glatt
Vom Bimsstein, und die Zeilen nach dem Lineal.
Doch lies sein Werk: der Weltmann, der so artige
Suffenus ist ganz Bauer; nein, nicht plumper ist
Ein Karrenschieber: so verwandelt ist er, so
Nicht mehr er selbst. Was denkst du? Dieser feine Herr,
Scherzhaft, gewandt, anmuthig, was man sagen kann,
Ist ungeschlachter, als das ungeschlachte Dorf,
Sobald er Verse macht! und ist nie glücklicher,
Als wenn er Verse macht! Ich sage dir, das Herz
Lacht ihm dabei, er ist voll Selbstbewunderung. -
Doch wer hat nicht dergleichen etwas? zeig’ mir den,
Der nicht in irgendeinem Stück Suffenus ist!
Ein jeder hat sein Theilchen Narrheit abgkriegt,
Nur sehn wir nicht den Sack, der uns vom Rücken hängt.

(In Eduard Mörike (Hrsg.): Classische Blumenlese: Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien, Idyllen, Gnomen und Epigrammen der Griechen und Römer, Bd. 1. Schweizerbart’sche 1840, S. 188; zu eventuellen Umdichtungen von Übersetzungen siehe die Vorrede ab S. iii)

Eine neuere Nachdichtung unter dem Titel Ein Weltmann und Dichterling von Otto Weinreich aus dem Jahr 1960 siehe hier, und eine moderne Übersetzung, in der sogar das Wort „Recyclingpergament“ auftaucht hier.

Bekannt geworden sind Catulls Worte „Suus cuique attributus est error“ als „Wir fehlen alle mannigfach“, „Fehler sind das Merkmal unseres Menschentums“ oder als  „Jeder hat seine eigenen Fehler“.

Links zu Übersetzungen ins brasilianische Portugiesisch, Chinesische, Kroatische, Finnische, Französische, Ungarische, Italienische, in Rioplatense und Vercellese sowie Vergleichsmöglichkeiten zwischen all diesen Sprachen einschließlich Latein, Englisch, Deutsch und der Transkription der gescannten Vorlage siehe http://rudy.negenborn.net/catullus/text2/l22.htm

Sonntag, 15. Mai 2011

„Kill your darlings – Töte deine Lieblinge“ – von Faulkner, Hemingway, Stephen King oder von wem?


Angeregt durch einen Blogpost auf Schreibteufelchen dachte ich über einen der berühmtesten Schreibtipps nach, der da lautet:

„Töte deine Lieblinge“ – „Kill your darlings“ (auch „Kill your darling“ und „Kill all your darlings“).

Mich interessierte allerdings nicht, was damit gemeint ist (darüber werde ich an anderer Stelle schreiben), sondern von wem der Tipp ist. Denn er wird F. Scott Fitzgerald, William Faulkner, William Goldman, Wladimir Nabakov, Stephen King und Ernest Hemingway zugeschrieben (natürlich darf der gute alte Mark Twain nicht fehlen), also allen möglichen Schriftstellern mit Rang und Namen. Tatsächlich aber stammt er von dem britischen Autor und Literaturkritiker Arthur Quiller-Couch, der im zwölften Kapitel seines Buches On the Art of Writing schreibt:
Well, in this extraneous, professional, purchased ornamentation, you have something which Style is not: and if you here require a practical rule of me, I will present you with this: ‘Whenever you feel an impulse to perpetrate a piece of exceptionally fine writing, obey it—whole-heartedly—and delete it before sending your manuscript to press. Murder your darlings.
Im Laufe der Zeit wurde aus „Murder your darlings” dann “Kill your darlings”. Wahrscheinlich war es William Faulkner, der als erster diese Schreibregel prägnant umformte in: “In writing, you must kill all your darlings.”

Stephen King, der sie vehement vertritt, schreibt in seinem Buch On Writing:
Mostly when I think of pacing, I go back to Elmore Leonard, who explained it so perfectly by saying he just left out the boring parts. This suggest cutting to speed the pace, and that’s what most of us end up having to do (kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings)…I got a scribbled comment that changed the way I rewrote my fiction once and forever. Jotted below the machine-generated signature of the editor was this mot: ‘Not bad, but PUFFY. You need to revise for length. Formula: 2nd Draft = 1st Draft – 10%. Good luck.
Henry Miller formte übrigens diese Forderung in „Taking the ax to your work” um … (My live and times. Playboy Press 1971, S. 54)

Samstag, 14. Mai 2011

Zitat des Tages zum Zitieren

Nenne niemals eine Quelle, alles, was du zitierst, hätte auch von dir kommen können und damit sind Quellen unnötig.

(Aus: So wirst du Foren-Benutzer des Monats)

Arthur Schopenhauer übers Plagiieren

Wie wenig Ehrlichkeit unter den Schriftstellern ist, wird sichtbar an der Gewissenlosigkeit, mit der sie ihre Anführungen aus fremden Schriften verfälschen. Stellen aus meinen Schriften finde ich durchgängig verfälscht angeführt, und nur meine deklarirtesten Anhänger machen hier eine Ausnahme. Oft geschieht die Verfälschung aus Nachlässigkeit, indem ihre trivialen und banalen Ausdrücke und Wendungen ihnen schon in der Feder liegen und sie solche aus Gewohnheit hinschreiben; bisweilen geschieht es aus Naseweisheit, die mich bessern will; aber nur zu oft geschieht es aus schlechter Absicht, – und dann ist es eine schändliche Niederträchtigkeit und ein Bubenstück, der Falschmünzerei gleich, welches seinem Urheber den Charakter des ehrlichen Mannes ein für alle Mal wegnimmt.

Arthur Schopenhauer, Über Schriftstellerei und Stil

(In Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Bd 2. 2. Aufl. 1862, S. 583)

Montag, 9. Mai 2011

Über ein weites Feld


„Das ist ein weites Feld“ – wer kennt nicht diese Redewendung? Google findet dafür 775.000 Treffer. Die Biomechanik, das Dating, die Landwirtschaft der Ukraine, die Europäsierung und und und – alle sind ein weites Feld.

Auch die Welt der Zitate. Gefühlt jedes zweite Zitat, das ich irgendwo finde, ist falsch. Da werden Worte aus dem Zusammenhang gerissen, Wörter geändert, falsche Autoren genannt und was man noch so alles falsch machen kann. Und einer schreibt vom anderen ab. Und viel zu viele Zitatensammlungen nehmen Zitate ungeprüft auf und werden trotzdem als Quelle für Zitate genannt.

Aber darüber wollte ich hier gar nicht schreiben. Mir geht es wieder einmal darum: Wer hat diese Worte geprägt?

Bekannt geworden sind sie durch Theodor Fontanes Schlusssatz von Effi Briest:
Rollo, der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopf langsam hin und her, und Briest sagte ruhig „Ach, Luise, laß … das ist ein zu weites Feld.“
– Überhaupt ist diese Redewendung einer von Briests Lieblingssätzen: So sagt er unter anderem zu Luise: „Nein, gewiß nicht; jedenfalls wollen wir darüber nicht streiten; es ist ein weites Feld“ und zu Effi: „Glaube mir, Effi, das ist auch ein weites Feld.“ –

Und durch Günter Grass, der „Ein weites Feld" als Titel für seinen Roman wählte, in dem er die Zeit der 1848er Revolution und das Leben Theodor Fontanes mit der Zeit um 1989 und dem Leben des DDR-Bürgers Theo Wuttke verbindet, der wegen seiner Vorliebe für Fontane „Fonty“ genannt wird und dessen Lebensgeschichte die Fontanes spiegelt. Und er machte den offenen Schluss von Fontanes Effi Briest zu einen unwiderruflichen (auf die berühmten drei Punkte mochte aber auch er nicht verzichten):
Mit ein wenig Glück erleben wir uns in kolossal menschenleerer Gegend. La petite trägt mir auf, das Archiv zu grüßen, ein Wunsch, dem ich gern nachkomme. Wir gehen oft in die Pilze. Bei stabilem Wetter ist Weitsicht möglich. Übrigens täuschte sich Briest; ich jedenfalls sehe dem Feld ein Ende ab …
Aber schon Adalbert Stifter schrieb in seinem Roman Nachsommer:
„Das ist ein weites Feld, von dem Ihr da redet“, sagte ich, „und da steht der menschlichen Erkenntnis ein nicht unwichtiger Gegenstand gegenüber. Er beweist wieder, daß jedes Wissen Ausläufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch noch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen. So kamen wohl auch die größten Männer zu den Werken, die wir bewundern, und so kann mit Hereinbeziehung dessen, von dem Ihr redet, die Witterungskunde einer großen Erweiterung fähig sein.“  
Der Schüler in Johann Wolfgang von Goethes Faust I spricht  von „Drei Jahr ist eine kurze Zeit, / Und, Gott! Das Feld ist gar zu weit. / Wenn man einen Fingerzeig nur hat, / Lässt sich's schon eher weiter fühlen.“

Christian Fürchtegott Gellert schreibt:
In welchem Range auch der Mensch geboren wird, so richtet sich die öffentliche Ächtung doch allemal nach den Diensten, welche er dem Vaterlande leistet. Worin unsere Pflichten auch bestehen mögen, so ist es doch gewiß, daß sie ein weites Feld für unsere Tugend sind.
(zitiert nach Dr. Johann Georg Krünitz’s ökonomisch-technologische Encyclopädie. Paulische Buchhandlung 1832, 128)
und Andreas Gryphius lässt in der Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz, die 1657 erschien, den Titelhelden sagen:
Ja es ist noch in weitem feld. Wir wissen noch nicht, ob wir bestehen werden. Vielleicht machen wir eine sau und kriegen gar nichts; darum ist es am besten, ich folge meinem kopff und gebe ihm den titul: ein schön spiel, lustig und traurig zu tragiren und zu sehen.
Ob sich Fontane von Stifter, Gellert, Goethe oder Gryphius inspirieren ließ, wissen wir nicht. Er hätte das weite Feld aber auch der Schrift Vom glücklichen Leben (De Vita beata) XXII von Lucius Annaeus Seneca dem Jüngeren entnehmen können:
Kann aber ein Zweifel sein, daß ein Weiser im Reichtume größere Mittel besitzt seine Gesinnung zu entfalten, als in der Armut? da ja bei dieser nur die eine Seite der Tugend sich äußern kann, sich nicht beugen und niederdrücken zu lassen, im Reichtum aber die Mäßigung, die Freigebigkeit, die Wirtschaftlichkeit, die gute Einteilung und die Großherzigkeit sich ein weites Feld eröffnet sieht.

Quid autem dubii est, quin haec maior materia sapienti viro sit animum explicandi suum in divitiis quam in paupertate, cum in hac unum genus virtutis sit non inclinari nec deprimi, in divitiis et temperantia et liberalitas et diligentia et dispositio et magnificentia campum habeat patentem?
oder von Marcus Tullius Ciceros Brief an seinen Bruder:
Die Freigebigkeit ist ein weites Feld. So manifestiert sich in der Verwendung des Vermögens, was zwar nicht der Masse zugute kommt, aber doch von den Freunden gepriesen wird und bei der Masse Eindruck macht, manifestiert sich in den Gastereien, die von Dir und Deinen Freunden bald hier, bald da tributweise veranstaltet werden müssen; manifestiert sich auch in Deinen Diensten. Die leiste überall und jedermann, und laß es Deine Sorge sein, daß der Zutritt zu Dir Tag und Nacht frei ist, und nicht allein am Eingang Deines Hauses, sondern auch an Gesicht und Stirn, den Pforten zu Deinem Herzen; wenn sie anzeigen, daß der gute Wille sich zurückgezogen und eingekapselt hat, dann hilft es wenig, wenn Deine Haustür offensteht. (http://www1.ku-eichstaett.de/SLF/Klassphil/dl/1968-2.txt); Denkschrift über die Bewerbung um das Konsulat, Quintus grüßt seinen Bruder Marcus 44)

Benignitas autem late patet*: est in re familiari, quae quamquam ad multitudinem pervenire non potest, tamen ab amicis laudatur, multitudini grata est; est in conviviis, quae fac ut et abs te et ab amicis tuis concelebrentur et passim et tributim; est etiam in opera, quam pervulga et communica, curaque ut aditus ad te diurni nocturnique pateant, neque solum foribus aedium turarum, sed etiam vultu ac fronte, quae est animi ianua, quae si significat voluntatem abditam esse ac retrusam, parvi refert patere ostium (…)
(In Commentariolum Consulatus Petitionis aut Epistula Q. Ciceronis De Petitione Consulatus Ad M. Fratrem)
Vielleicht hat sich ja Seneca bei Cicero bedient. Vielleicht prägte aber auch ein alter Grieche vor ihnen die Redewendung. Wer will das wissen. Die Welt der Zitate und Redewendungen ist nun mal ein weites Feld …

*übtr., late patere, sich weit erstrecken, weit verzweigt sein, einen weiten Spielraum haben, eine weite Anwendung finden

Sonntag, 8. Mai 2011

Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck


oder auch

„Keine zweite Chance für den ersten Eindruck.“

Wie wahr. Aber wer prägte eigentlich diesen überaus beliebten Slogan (immerhin über 450.000 Treffer)?

Sicher ist zumindest, dass das Zitat in der Form aus dem Englischen kommt. Denn die Worte

„You never get a second chance to make a first impression“*

stehen auf der Gedenktafel am Will Rogers Memorial Center. Aber ist der US-amerikanische Komiker Will Rogers (1879–1935) wirklich der Urheber?

Zugeschrieben wird das Zitat nämlich auch Oscar Wilde, Mark Twain und dem evangelischen Pastor Charles Swindoll, wobei Wilde, Mark Twain und so mancher anderer Aphoristiker im Zweifelsfall gern als Urheber genannt werden … Es ist aber auch ein Werbeslogan für „Head & Shoulders“ aus den 1980er Jahren. (Eine interessante Diskussion darüber habe ich hier gefunden.) Netty Neuthal und Franz von Seboca, die manchmal als Urheber der deutschen Version genannt werden, sind das jedenfalls nicht.

Tatsächlich soll das Zitat auf Arthur Schopenhauer (1788–1860) zurückgehen, der in einem seiner Essays schreibt:
An odor affects us only when we first come in contact with it, and the first glass of wine is the one which gives us its true taste: in the same way, it is only at the first encounter that a face makes its full impression upon us. (Quelle: http://tinyurl.com/6djk3hc)
Aber auch Samuel Johnson (1709–1784) wird als Urheber genannt:
Few have strength of reason to overrule the perceptions of sense, and yet fewer have curiosity or benevolence to struggle long against the first impression: he who therefore fails to please in his salutation and address is at once rejected, and never obtains an opportunity of showing his latest excellences or essential qualities. (Quelle: http://tinyurl.com/5wr2flk
Es ist durchaus vorstellbar das Schopenhauer Johnsons Worte kannte und sie umgeschrieben hat. So etwas soll nicht nur bei Schopenhauer öfter vorgekommen sein.

Auf einer Zitateseite wurde die deutsche Version „Es gibt keine Zweite Chance für den ersten Eindruck“ aus urheberrechtlichen Gründen entfernt, weil als Autor wohl „Werbeslogan für Head & Shoulders“ angegeben worden war. Es kann also sein, dass das Zitat zumindest in Deutschland geschützt ist und nur im engen Rahmen des Urheberrechts verwendet werden darf.

*Für das englische Zitat gibt es auch diverse Versionen wie zum Beispiel „We don't get a second chance to make a first impression“.

Sonntag, 1. Mai 2011

Die Geschichte vom Axtdieb


Die Geschichte vom Axtdieb

„Einst hatte jemand eine Axt verloren. Er hatte seines Nachbars Sohn in Verdacht. Er beobachtete die Art, wie er ging: es war die Art eines Axtdiebes; seine Mienen: es waren die eines Axtdiebes; seine Worte: es waren die eines Axtdiebes; seine Bewegungen und sein ganzes Wesen, alles was er tat: alles war die Art eines Axtdiebes. Zufällig grub er dann einen Graben und fand seine Axt. Am anderen Tag sah er wieder seines Nachbars Sohn, alle seine Bewegungen und sein ganzes Wesen glichen nicht mehr der Art eines Axtdiebes. Sein Nachbarsohn hatte sich nicht verändert. Er selbst hatte sich verändert. Was war der Grund davon? Nichts anderes, als daß etwas da war, das ihn in unbefangener Beobachtung störte.“

Lü Bu Wie (um 300–235 v. Chr.), Beseitigung der Befangenheit / Kü Yu

(In Chunqiu – Frühling und Herbst des Lü Bu We. S. E. Diederichs 1928, S. 164; siehe auch Zeno.org)

Es gibt jedoch eine ältere Version des Axtdiebes mit der Verfasserangabe Liezi (Liä Dsi, auch Licius, Livius), der um 450 v. Chr. lebte:
Wer hat die Axt gestohlen?

Es war einmal ein Mann, der hatte seine Axt verloren. Er hatte seines Nachbars Sohn im Verdacht und beobachtete ihn. Die Art, wie er ging, war ganz die eines Axtdiebes; sein Gesichtsausdruck war ganz der eines Axtdiebes; die Art, wie er redete, war ganz die eines Axtdiebes; aus allen seinen Bewegungen und aus seinem ganzen Wesen sprach deutlich der Axtdieb. Zufällig grub jener einen Graben um und fand seine Axt. Am anderen Tag sah er seinen Nachbarssohn wieder. Alle seine Bewegungen und sein ganzes Wesen hatten nichts mehr von einem Axtdieb an sich.“
(In Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 181; Quelle: zeno.org)
Die Schrift enthält Erzählungen, die nach Liezis Tod von dessen Schülern zusammengetragen wurden. Zudem reden auch chinesische Gelehrte von später gemachten Zusätzen, so dass es durchaus sein kann, dass Lü Bu Wies Text dort Aufnahme fand.

Eine noch ältere Version mit der Urheberangabe Lao Tse, der im 6. Jahrhundert v. Chr. levte, oder auch „Nach Lao Tse; gefunden in Gelassenwerden, Herder 1996, lautet:
Der Axtdieb

Ein Mann fand eines Tages seine Axt nicht mehr. Er suchte und suchte, aber sie war verschwunden. Der Mann wurde ärgerlich und verdächtigte den Sohn seines Nachbarn, die Axt genommen zu haben. An diesem Tag beobachtete er den Sohn seines Nachbarn ganz genau. Und tatsächlich: Der Gang des Jungen war der Gang eines Axtdiebs. Die Worte, die er sprach, waren die Worte eines Axtdiebs. Sein ganzes Wesen und sein Verhalten waren die eines Axtdiebs. Am Abend fand der Mann die Axt durch Zufall hinter einem großen Korb in seinem eigenen Schuppen. Als er am nächsten Morgen den Sohn seines Nachbars erneut betrachtete, fand er weder in dessen Gang, noch in seinen Worten oder seinem Verhalten irgend etwas von einem Axtdieb.
In einem japanischen Forum habe ich allerdings eine viel schönere Form dieser Geschichte gefunden:
Der Bauer Dong suchte einen halben Tag lang nach seiner Axt. Er konnte sie nicht finden.

Da begann er seinen Nachbarn Luo zu beobachten. Ging Luo, der Nachbar, nicht ganz genau wie ein Axtdieb? Klangen die Worte des Nachbarn nicht wie die Worte eines Axtdiebs? Lachte er nicht wie ein Axtdieb? Waren seine Blicke und Bewegungen nicht ganz ähnlich wie die Blicke und Bewegungen des Axtdiebs?

Zufällig fand Dong die Axt unter seiner Treppe wieder.

Als er sich am nächsten Tag wieder mit seinem Nachbarn unterhielt, hatte sich der Nachbar ganz verändert. Luo ging nicht mehr wie ein Axtdieb, redete nicht mehr wie ein Axtdieb, lachte nicht mehr wie ein Axtdieb, in seinen Blicken und Bewegungen war nichts mehr von einem Axtdieb.
Heiner Müller hat den Axtdieb in der Version von Livius als Vorlage für das Gedicht Herr Dschu verteidigt sein Eigentum genommen. Allerdings endet es überraschend:
Und beschloß das Spiel zu gewinnen / Und zögerte nicht und ging hin / Mit der Axt und schlug mit der Axt den / Schädel ein Herrn Dschin.
(In Katharina Ebrecht: Heiner Müllers Lyrik: Quellen und Vorbilder. Königshausen & Neumann 2001, S. 87);
die spanische Übersetzung des Gedichts – O señor Dschu defende a súa propiedade – findet man mit weiteren Gedichten Heiner Müllers hier)

Am Anfang war das Wort, am Ende die Phrase

Am Anfang war das Wort, am Ende die Phrase.

Na poczatku bylo Slowo - na koheu Frazes.
At the beginning there was the Word — at the end just the Cliché.


Wie wahr!

Nur, wer hat das gesagt?

Zugesprochen werden die Worte Stanislaw Jerzy Lec, und es gibt auch eine Quelle: Stanislaw Jerzy Lec: Unkempt Thoughts. St. Martin’s Press, 1962, S. 71.

Nur soll auch das Karl Kraus laut Paul Wiegler: Briefe über Dichter. München 1946, S. 67 in Bezug auf Klopstock gesagt haben (siehe hier)  nur habe ich ein Buch dieses Titels nirgends gefunden, auch nicht im KVK – Karlsruher Virtueller Katalog. – Auch in den Schweizer Monatsheften für Politik, Wirtschaft, Kultur, Bd.  70, Ausgaben 7-12. S. 1040, wird das Zitat Kraus zugesprochen. In der Weltbühne von 1984, S. 1215, wird das Zitat genannt, allerdings ohne den Urheber zu nennen.

Die Urheberschaft wird also erst einmal unklar bleiben, es sei denn, eine meiner lieben Leserinnen und Leser klärt mich freundlicherweise auf!