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Montag, 26. September 2011

Vincent van Gogh darüber, dass es ebenso schwer ist, etwas gut zu sagen, wie es gut zu malen (und ein Linktipp)


"Es ist ebenso interessant und schwer, etwas gut zu sagen, wie es gut zu malen ist", schrieb Vincent van Gogh an seine Schwester Emile Bernard am 19. 4. 1888.

Tatsächlich hat er geschrieben:

"Il y a tant de gens surtout dans les copains qui s’imaginent que les paroles ne sont rien. Au contraire n’est ce pas, c’est aussi intéressant & aussi difficile de bien dire une chôse que de peindre une chôse. Il y a l’art des lignes & couleurs mais l’art des paroles y est et y restera pas moins."
(Faksimile des Briefes siehe http://vangoghletters.org/vg/letters/let599/letter.html; ein Linktipp: Auf http://vangoghletters.org/vg/letters.html gibt es alle Briefe von Vincent van Gogh mit englischer Übersetzung und Faksimile)

"There are so many people, especially among our pals, who imagine that words are nothing. On the contrary, don’t you think, it’s as interesting and as difficult to say a thing well as to paint a thing. There’s the art of lines and colours, but there’s the art of words that will last just the same."
(http://vangoghletters.org/vg/letters/let599/letter.html)

"Er zijn zoveel mensen, vooral onder onze vrienden, die denken dat woorden niets voorstellen. Integendeel, nietwaar, het is even interessant en even moeilijk om iets goed te zeggen als om iets te schilderen."
(http://www.vangoghmuseum.nl/vgm/index.jsp?page=161662; eine vollständige Übersetzung des Briefes ins Niederländische habe ich nicht gefunden)

"Es gibt so viele Menschen, vor allem unter unseren Freunden, die denken, dass Worte nichts bedeuten. Im Gegenteil, nicht wahr, ist es ebenso interessant wie schwierig, etwas gut zu sagen wie gut zu malen. Es gibt die Kunst der Linien und Farben, aber auch die Kunst der Worte, die keineswegs geringer ist."

Als Urheber wird auch Jaques Lacan genannt. Näheres dazu habe ich jedoch nicht gefunden.

Sonntag, 25. September 2011

Hemingway über die schwerste Sache der Welt

Ernest Hemingway schrieb einst:

„Die schwerste Sache in der Welt ist gute Prosa über Menschen zu schreiben*. Man muß seine Sache kennen, und man muß wissen, wie geschrieben wird. Es dauert ein Leben, das zu lernen ...“
 
“The hardest thing in the world to do is to write straight honest prose on human beings. First you have to know the subject; then you have to know how to write. Both take a lifetime to learn …"
(In By-Line: Ernest Hemingway. Scribner 1967, S. 183)

Allerdings finde ich die deutsche Übersetzung nicht ganz gelungen. Sie müsste lauten:

„Das Schwerste in der Welt ist, ehrliche Prosa über Menschen zu schreiben. Zuerst musst man das Thema beherrschen, dann muss man wissen, wie man schreibt. Um beides zu lernen, braucht man ein ganzes Leben …“

Und ich bin mir noch nicht mal sicher, ob nicht mit „subject“ die Person meint.

Eine ähnliche Übersetzung habe ich bei Curt Riess gefunden:
Das Schwerste in der Welt ist, ehrliche Prosa über Menschen zu schreiben. Man muß ein Thema beherrschen, man muß schreiben können, und um beides zu erlernen, braucht man ein ganzes Leben … (Bestseller, S. 333
*Meist wird Hemingway mit den Worten zitiert: „… Prosa über Menschen schreiben“. Und ich muss gestehen, dass ich selbst diese falsche Zitierung in mein Blog übernommen hatte …

Freitag, 23. September 2011

Karl Kraus über Wörter, die man sich näher anschaut

Zu Karl Kraus' Zitat

„Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück“

"The closer the look one takes at a word, the greater the distance from which it looks back." 

siehe http://juttas-schreibblog.blogspot.com/2010/09/zitat-des-tages_03.html

Donnerstag, 22. September 2011

… es kommt alles noch herrlicher wieder …

… schreibt Rainer Maria Rilke am 29. 4. 1904 an seinen Schwager Friedrich Westhoff:

„Man muss nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muss, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes und Verborgenes gibt.“

Offensichtlich gibt es kaum ein Zitat, das man nicht verfälschen kann und das dann prompt mit der falschen Zitierweise von anderen übernommen wird. Hier wurde aus „eine Freude“ „ein Freund“, vielleicht weil jemand gerade von einem Freund bitterlich enttäuscht wurde? Nur hat Rilke das nicht gesagt. Er schreibt allgemein vom Menschen, der verloren geht.

Quelle: http://www.marschler.at/worte-rilke-briefe-westhoff.htm

Mittwoch, 21. September 2011

Über Martin Opitz' Gedicht „Carpe diem“

Da wollte ich gerade in mein Schreibblog passend zu meinen Ausführungen zum Motto Carpe diem ein Gedicht mit diesem Titel aus der Feder des Barockdichters Martin Opitz (1597–1639) einstellen. Ich googelte also, um die Originalquelle zu finden, tja, und nun ist es hier gelandet.

Denn ein Gedicht von Opitz mit diesem Titel gibt es gar nicht. Ich fand stattdessen Bezeichnungen wie Lustlied, Guter Entschluß, Lebenslust, Ode XVIII, Sinnesänderung, Gelahrtheit und in Achim von Armins Des Knaben Wunderhorn den Titel Überdruß der Gelahrtheit. Meist wird aber nur die erste Zeile des Gedichts angegeben: Ich empfinde fast ein Grauen. Bei der Wikisource fand ich zwar das Gedicht mit dem Titel Carpe diem, aber dazu die Anmerkung: „Der Titel stammt nicht aus dem Original.“ Aha. Aber warum wird es fälschlich so genannt? Vielleicht, weil im 20. Jahrhundert jemand schrieb, das Gedicht umschreibe das Horaz’sche Carpe Diem.

Also recherchierte ich weiter. Bevor ich dazu etwas schreibe, möchte ich Ihnen jedoch das Gedicht mit dem Titel, ach lassen wir das, was auch immer, vorstellen:

Ich empfinde fast ein Grauen,
Daß ich, Plato, für und für
Bin gesessen über dir;
Es ist Zeit hinaus zu schauen
Und sich bei den frischen Quellen
In dem Grünen zu ergehn,
wo die schönen Blumen stehn
Und die Fischer Netze stellen.

Wozu dienet das Studieren
Als zu lauter Ungemach?
Unterdessen läuft die Bach
Unsers Lebens, uns zu führen,
Ehe wir es inne werden,
Auf ihr letztes Ende hin,
Dann kömmt ohne Geist und Sinn
Dieses alles in die Erden.

Holla, Junge, geh und frage,
Wo der beste Trunk mag sein,
Nimm den Krug und fülle Wein.
Alles Trauren, Leid und Klage,
Wie wir Menschen täglich haben,
Eh der Strom uns fortgerafft,
Will ich in den süßen Saft,
Den die Traube gibt, vergraben.

Kaufe gleichfalls auch Melonen
Und vergiß des Zuckers nicht;
Schaue nur, daß nichts gebricht.
Jener mag der Heller schonen,
Der bei seinem Gold und Schätzen
Tolle sich zu kränken pflegt
Und nicht satt zu Bette legt:
Ich will, weil ich kann, mich letzen.

Bitte meine guten Brüder
Auf die Musik und ein Glas:
Kein Ding schickt sich, dünkt mich, baß
Als ein Trunk und gute Lieder.
Laß ich schon nicht viel zu erben,
Ei so hab ich edlen Wein,
Will mit andern lustig sein,
Wann ich gleich allein muß sterben.

(Martin Opitz: Überdruß der Gelahrtheit. Aus Des Knaben Wunderhorn. In Achim von Arnims Werke, Bd. 3. Insel o. Jg. (1911),  S. 296)

Ich empfinde fast ein Grawen
Daß ich, Plato, für vnd für
Bin gesessen vber dir;
Es ist Zeit hinaußzuschawen
Vnd sich bey den frischen Quellen
In dem grünen zu ergehn,
Wo die schönen Blumen stehn,
Vnd die Fischer Netze stellen.

Wozu dienet das Studieren
Als zu lauter Vngemach?
Vnterdessen lauft die Bach
Vnsers Lebens, das wir führen,
Ehe wir es inne werden,
Auff ihr letztes Ende hin,
Dann kömpt ohne Geist vnd Sinn
Dieses alles in die Erden.

Hola, Junger, geh’ vnd frage
Wo der beste Trunck mag seyn,
Nimb den Krug, vnd fülle Wein.
Alles Trawren, Leid vnd Klagen
Wie wir Menschen täglich haben
Eh’ vns Clotho fort gerafft
Will ich in den süssen Safft
Den die Traube giebt, vergraben.

Kauffe gleichfals auch Melonen,
Vnd vergiß des Zuckers nicht;
Schawe nur daß nichts gebricht.
Jener mag der Heller schonen.
Der bey seinem Gold vnd Schätzen
Tolle sich zu krencken pflegt,
Vnd nicht satt zu Bette legt:
Ich will, weil ich kann mich lezen.

Bitte meine gute Brüder
Auff die Music vnd ein Glaß:
Kein Ding schickt sich, dünckt mich, baß,
Als ein Trunck vnd gute Lieder.
Laß ich schon nicht viel zu erben,
Ey so hab ich edlen Wein.
Will mit andern lustig seyn,
Wenn ich gleich allein muß sterben.


(In Gottfried Brun: Versuch einer Geschichte der deutschen Dichtkunst, Dichter und Dichterwerke von ihrem Ursprung bis auf Bodmer und Breitinger, und Poetische Versuche. Müllers Wittwe 1782, S. 131)

(Eine sozusagen niederschmetternde Kritik aus dem Jahr 1859 zu Opitz’ Gedicht habe ich bei der Gelegenheit hier gefunden)

Und dann gibt es natürlich einige Parodien wie Die Eitelkeit oder Marnia und ein Buch. Auch die Wendung „Hola, Junger, geh’ …“ wurde oft parodiert, zum Beispiel so „Hola, Junger, geh vnd siehe, Wo die Federn mögen seyn“.

Bei meinen weiteren Nachforschungen stellte ich dann fest  – und nun kommt’s –, dass Opitz’ berühmtes Gedicht nichts weiter ist als ein Nachdichtung der Ode 22 aus dem zweiten Odenbuch von Pierre de Ronsard:

A Son Laquais

J’ay l’esprit tout ennuyé
D’avoir trop estudié
Les Phenomenes d’Arate:
Il est temps que je m’esbate,
Et que j’aille aux champs jouer.
Bons Dieux! qui voudroit louer
Ceux qui, collez sur un livre?
N’ont jamais soucy de vivre?

Que nous sert l’estudier,
Sinon de nous ennuyer,
Et soin dessus soin accroistre
A nous qui serons peut-estre,
Ou ce matin, ou ce soir
Victime de l’Orque noir?
De l’Orque qui ne pardonne,
Tant il est fier, à personne?

Corydon, marche devant,
Sçache où le bon vin se vend:
Fay refraischir la bouteille,
Cherche une fueilleuse treille
Et de fleurs pour me coucher.
Ne m’achete point de chair,
Car tant soit-elle friande,
L’esté je hay la viande.

Achete des abricos,
Des pompons, des artichos,
Des fraises, et de la crême:
C’est en Esté ce que j’aime,
Quand sur le bord d’un ruisseau
Je la mange au bruit de l’eau,
Estendu sur le rivage,
Ou dans un autre sauvage.

Ores que je suis dispos,
Je veux rire sans repos,
De peur que la maladie
Un de ces jours ne me die:
Je t’ay maintenant veincu,
Meurs, galland, c’est trop vescu.

(In C.-A.  Sainte-Beuve: Ouvres Choisies de P. de Ronsard. Garnier 1828, S. 122)

– Und wieder einmal habe ich festgestellt, dass man auch Gedichte nicht einfach so übernehmen kann. So manches Mal kommt bei der Recherche wahrlich Überraschendes ans Licht. –

(Zu dem Zitat "Carpe diem" selbst siehe http://juttas-schreibblog.blogspot.de/2012/08/carpe-diem.html   und http://juttas-zitateblog.blogspot.de/2011/09/carpe-diem.html)

Dienstag, 20. September 2011

Carpe diem


Das bekannteste Zitat überhaupt ist wohl das „Carpe diem“ von Horaz aus dessen Ode an Leuconoe

Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi
Finem Dì dederint, Leuconoe, nec Babylonios
Tentaris numeros. Ut melius, quidquid erit, pati!
Seu plures hìemes, seu tribuet Iupiter ultimam,
Quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare
Tyrrhenum; sapias, vina liques, et spatio breui
Spem longam reseces. Dum loquimur, fugerit invida
Aetas: carpe diem, quam minimum credula postero.
(In Quintus Horatii Flacci Opera, 1829, S. 13)

Niemals forsche du nach — Frevel ja wär's — welches der Tage Ziel
Mir die Götter gesetzt, welches dir selbst, noch babylonische
Zahlenkünste versucht! Besser führwahr dulden wir jedes Loos!
Ob noch Winter hinfort Jupiter schenkt, ob es der letzte sei,
Der durch Felsenklipp jetzo die Wuth schwächet Wuth schwächt der tyrrhenischen
Meeresfluth. Zeige dich klug, läutere Wein, setze bei kurzen Frist
Langer Hoffnung ein Ziel. Neidisch entflieht, während wir sprechen, die
Jugend: hasche den Tag, wenig Vertrau’n schenke dem morgenden!
(In Quintus Horatius Flaccus Werke. Deutsch … von Dr. Wilhelm Binder. 5. Aufl. Krais und Hoffmann 1861, S. 12)

Seek not, Leuconoë — 'tis forbid to know —
On me, and you what end the gods bestow;
No more for Babylonian numbers care; But what the Fates decree with patience bear!
If Jove more winters grant, or now the last
Embroil the rocks and wafes with Tuscan blast.
Be wise: — rack off your wines, while yet you can,
Restraining hope to life’s contracted span.
Even now what speed the envious seasons borrow!
Seize on to-day; — nor trust the uncertain morrow.
(In The Odes of Horace, translated by John Scriven. Pickering 1843, S. 21)

Natürlich darf eine Parodie von Christian Morgenstern nicht fehlen …

Laß das Fragen doch sein! Sorg dich doch nicht über den Tag hinaus!
Martha! Geh nicht mehr hin, bitte, zu der dummen Zigeunerin!
Nimm dein Los, wie es fällt! Lieber Gott, ob dies Jahr das letzte ist,
das beisammen uns sieht, oder ob wir alt wie Methusalem
werden: sieh’s doch nur ein: das, lieber Schatz, steht nicht in unsrer Macht.
Amüsier dich, und laß Wein und Konfekt schmecken dir wie bisher!
Seufzen macht mich nervös. Nun aber Schluß! All das ist Zeitverlust!
Küssen Sie mich, mon amie! Heute ist heut! Après nous le déluge!
(In Christian Morgenstern: Horatius travestitus: ein Studentenscherz. Schuster & Loeffler 1897; zitiert nach http://12koerbe.de/pan/horaz.htm#I,11)

Eigentlich heißt Carpe diem „Pflücke den Tag“ (von lat. carpio = (dicht.) pflücken, dies = Tag) , aber naturgemäß gibt es auch andere Übersetzungen, und jeder Leser möge sich die heraussuchen, die ihm am besten gefällt:

Fröhlich pflücke das »Heut«, trau’ nicht auf das, was Dir ein »Morgen« bringt.
(Die Oden des Quintus Horatius Flaccus: Deutsch im Versmaße des Originals, 1866, S. 20)

Pflücke den Tag, auf den folgenden vertraue so wenig leichtgläubig wie möglich. (http://www.latein-lk.de/Texte/Horaz/ode_1_11.htm)

Pflücke dir den Tag, und glaube so wenig wie möglich an den nächsten! (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/C)

Genieße den Augenblick und verlaß dich so wenig wie möglich auf den folgenden.
(http://members.aon.at/latein/Horaz1.htm)

Genieße den Tag, möglichst wenig leichtgläubig gegenüber dem folgenden! (http://de.wikipedia.org/wiki/Carpe_diem)

Schenk dem kommenden Tag nimmer Vertraun, koste den Augenblick! (http://gutenberg.spiegel.de/buch/5541/1)

Oder frei übersetzt in Friedrich von Schillers Macbeth:
Nicht in die ferne Zeit verliere dich! / Den Augenblick ergreife! Der ist dein.
(F. v. Schillers sämmtliche Werke, 1816, S. 239)
(Für alle, die es noch genauer wissen möchten: auf http://www.albertmartin.de/latein/forum/?view=6511 gibt es eine Diskussion über die korrekte Übersetzung des Zitats)

– Die Übersetzung „Nutze den Tag, koste den Augenblick“ ist allerdings doppeltgemoppelt. –

Und dann gibt es natürlich auch noch die Kurzformen: „Nutze den Tag“ und „Nutze die Zeit“.

Wie auch immer: Leider ist das Carpe diem inzwischen zu einer Phrase geworden, weil zu oft verwendet und gelesen.

(Siehe auch http://juttas-schreibblog.blogspot.de/2012/08/carpe-diem.html und zu Martin Opitz' Gedicht Carpe diem http://juttas-zitateblog.blogspot.de/2011/09/uber-martin-opitz-gedicht-carpe-diem.html)

Samstag, 17. September 2011

Neues aus der Rubrik „Wer hat das gesagt“: Über die Form, die Farbe ist


Neulich wurde die Frage gestellt, ob man in dieser Form ein Zitat des Schweizer Malers, Kunsttheoretikers und Kunstpädagogen Johannes Itten (1888–1967)  in ein Buch aufnehmen dürfe und ob das Zitat überhaupt von ihm sei.

"Die Form ist auch Farbe.
Ohne Form keine Farbe.
Form und Farbe sind eins."

Das Zitat ist zwar soweit von Itten, ist aber im Wortlaut falsch. Richtig muss es heißen
Die Form ist auch Farbe. Ohne Farbe keine Form, ohne Form keine Farbe. Form und Farbe sind eins.
Und natürlich kann man es nicht als Gedicht schreiben, wenn es kein Gedicht ist.

Vollständig heißt es:
Die am besten fassbare Form ist die geometrische, deren Grundelemente der Kreis, das Quadrat, das Dreieck sind. In diesen drei Formelementen liegt jede mögliche Form keimhaft. Sichtbar dem Sehenden – unsichtbar dem Nichtsehenden.

Die Form ist auch Farbe. Ohne Farbe keine Form, ohne Form keine Farbe. Form und Farbe sind eins. Die Farben des Spektrums sind die faßbarsten. In ihnen liegt jede mögliche Farbe keimhaft, sichtbar dem Sehenden – unsichtbar dem Nichtsehenden.

Im Faßbarsten aber liegt die größte, eindrucksvollste Ausdruckskraft.

(Joh. Itten: Fragmentarisches. In Hölzel und sein Kreis, 1916. Strecker und Schröder 1916, S. 16)
Aber: Mit den Worten „Ohne Farbe keine Form“ wird auch  der deutschen Maler und Bildhauer Rudolf Maison  (1854–1904) in Karl Eugen Schmidts Künstlerworte auf S. 181 zitiert (Seemann 1906). Eine Quelle dafür habe ich allerdings nicht gefunden.

Doch bereits 1842 schrieb der Lehrer der Zeichenkunst an „mehrern kaiserlichen Erziehungsanstalten in Petersburg“, Gustav Adolf Hippius (1792–1856):
Ohne Licht keine Farbe, ohne Farbe keine Form, ohne Form kein Begriff; – Licht ist der Urquell alles Lebens.
(In G. A. Hippius: Grundlinien einer Theorie der Zeichenkunst, als Zweiges allgemeiner Schulbildung, nebst praktischer Anleitung für Lehrer und Lehrerinnen. Petersburg 1842; 1846 in Reval veröffentlicht unter Versuch, das pädagogische Verhalten angehender Zeichner in Grundsätze zu fassen; zitiert nach Pädagogischer Jahresbericht für Deutschlands Volksschullehrer 1846, 1, S. 286)
Ob sich Maison Hippius’ Worte und Itten wiederum Maisons Worte nur „bedient“ haben, weiß ich nicht.

Montag, 12. September 2011

Friedrich Glauser über das Erzählen

Zu Friedrich Glausers Zitat
Sehen Sie, erzählen, einfach erzählen, ein Bilderbuch schreiben, in dem der Zug, das Haus, die Strasse vorkommen, die Dinge, die der Mann jeden Tag sieht und die er gar nicht mehr sieht, weil sie ihm zu geläufig sind. Sie ihm neu zeigen, mit ein paar Worten, die man sonst anders braucht, so dass er unbewusst aufmerkt 
siehe
http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2011/09/friedrich-glauser-uber-das-erzahlen.html

Samstag, 3. September 2011

Betr.: Urheberrecht Wilhelm Raabe

Das Verlagsrecht (ein Teilbereich der urheberrechtlichen Nutzungsrechte) von Wilhelm Raabes Texten „Der Dräumling“ und „Christoph Pechlin: Eine internationale Liebesgeschichte“ liegt seit 1960 bei Vandenhoeck & Ruprecht

Aus der Rubrik „So haben sie es nicht gesagt“: Schopenhauer darüber, wie wir das, was wir besitzen, ansehen sollten

Ein Zitat von Arthur Schopenhauer soll lauten:

„Ich meine, wir sollten das, was wir besitzen, bisweilen so ansehen, wie es uns vorschweben würde, wenn wir es verloren hätten.

So hat er es aber nicht gesagt, sondern richtig heißt es:
Beim Anblick dessen, was wir nicht besitzen, steigt gar leicht in uns der Gedanke auf: Wie, wenn das mein wäre?“ und er macht uns die Entbehrung fühlbar. Statt dessen sollten wir öfter fragen: „Wie, wenn das nicht mein wäre?“ ich meine, wir sollten das, was wir besitzen, bisweilen so anzusehen uns bemühen, wie es uns vorschweben würde, nachdem wir es verloren hätten; und zwar jedes, was es auch sei: Eigentum, Gesundheit, Freude, Geliebte, Weib, Kind, Pferd und Hund: denn meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.
(In Arthur Schopenhauers sämtliche Werke in zwölf Bänden. Bd. 9, Teil 2: Parerga und Paralipomena. Cotta’sche Buchhandlung, o. J., S. 218)
Es ist doch erstaunlich, was aus solch einer Lebensweisheit so werden kann. Da wird aus einem „sich bemühen“ eine Forderung, aus einem „nachdem“ ein „wenn“ und aus dem Semikolon ein Punkt, so dass das Wichtige dieser Aussage unter den Tisch fällt. Und sogar Wikipedia macht aus „Freude“ „Freunde“ , was zwar auch gut klingt, aber Schopenhauer eben nicht gesagt hat. Und bittschön: Warum darf er nicht einfach von – Freude sprechen?