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Mittwoch, 3. August 2011

Neues aus der Rubrik „So haben sie es nicht gesagt“: Milton über den Unterschied von Plagiat und Forschung

Ein beliebter Spruch in diesen Zeiten von John Milton (1608–1674) lautet:

„Aus einem Text zu kopieren, nennt man Plagiat. Aus zweien zu kopieren, nennt man Forschung“ (auch mit dem Zusatz: „Wenig ist so, wie es scheint“)
auch:
„Aus einem Buch abschreiben ist ein Plagiat, beim zweiten beginnt die Forschung.“
„Die Idee einer Person zu klauen, nennt man Plagiat. Die Ideen vieler zu klauen, nennt man Recherche.“

„Copy from one, it’s plagiarism; copy from two, it’s research.“
„If you steal from one person it’s plagiarism, if you steal from several it’s called research.“
„Stealing from one person is plagiarism, stealing from many is research.“
„Theft from a single author is plagiarism. Theft from more than three is research.“
„To steal ideas from one person is plagiarism; to steal from many is research.“

„Copier sur un seul, c'est du plagiat. Copier sur deux, c'est de la recherche.“
„Voler une idée à une personne, c'est du plagiat. Voler plusieurs idées à plusieurs personnes, c'est de la recherche.“

und viele, viele Versionen mehr, die ich aus Platzgründen hier nicht anführen kann.

Tatsächlich aber hat Milton geschrieben:
For such kind of borrowing as this, if it be not bettered by the borrower, among good authors is accounted Plagiary.
Gute Autoren bezeichnen solch eine Ausleihe, wenn sie nicht vom Ausleiher verbessert wurde, als Plagiat.*
(Eikonoklastes (Iconoclastes), Kap. 23; in Select Prose Works of Milton, Bd. 2. Hatchard and Son 1836, S. 257)
Ähnlich hat es Lady Blessington (1789–1849) ausgedrückt:
Borrowed thoughts, like borrowed money, only show the poverty of the borrower.
Ausgeliehene Gedanken, ähnlich wie ausgeliehenes Geld, zeigen nur die Armut des Ausleihers. (Übersetzung Daniela Scheele)
(In Richard Robert Madden: The Literary Life and Correspondence of the Countess of Blessington, Bd. 1. Harper 1855, S. 239)
Interessant ist, dass offensichtlich Charles Caleb Colton (1780–1832) als erster das Wort „stehlen“ benutzte:
If we steal thoughts from the moderns, it will be cried down as plagiarism; if from the ancients, it will be cried up as erudition.
Das Stehlen der Gedanken von Zeitgenossen wird als Plagiat niedergeschrieen, das Stehlen der Gedanken der Alten als Gelehrsamkeit angepriesen.
(In Charles Caleb Colton: Lacon: Or, Many Things in Few Words; Adressed to Those, Who Think. London, 7. Aufl. 1821, S. 229)
1938 wird Joseph Cummings Chase (1878–1965) von der Zeitschrift Panorama: a Review of Views and News, Bd. 3, mit den Worten zitiert, die mehr oder weniger heute gebräuchlich sind und von denen offensichtlich die deutsche Version
Aus einem Text zu kopieren, nennt man Plagiat. Aus zweien zu kopieren, nennt man Forschung
herrührt:
If you steal from one person, it is plagiarism; if you steal from three persons, it is research.
(Da Einzelnachweis nicht möglich, zitiert nach Google-Büchersuche)
Nur werden meist weder John Milton noch Joseph Cummings Chase als Urheber des Zitats genannt, sondern Wilson Mizner (1876–1933), obwohl ihn Frank Case im gleichen Jahr mit ganz anderen Worten zitiert:
When you take stuff from one writer, it’s plagiarism, but when you take it from many writers, it’s called research.
Bedienst du dich des Materials eines Schreibers, ist es ein Plagiat, bedienst du dich des Materials von vielen Schreibern, wird es Forschung genannt.
(In Tales of a Wayward Inn. Stokes Company 1938, S. 228)
Laut Ralph Keyes soll Mizner jedoch schon wesentlich früher, um 1920, gesagt haben:
If you steal from one person it's plagiarism; if you steal from several it's called research.
(In Ralph Keyes: „Nice guys finish seventh“: False Phrases, Spurious Sayings, and Familiar Misquotations. HarperCollinsPublishers 1992, S. 115)
Als Quelle nennt er die Biographie der Mizner Brüder Wilson und Addison: Addison Mizner: The Many Mizners. Sears 1932. Allerdings habe ich das Zitat dort nicht gefunden.

Allan Churchill berichtet in The Great White Way: A Re-creation of Broadway's Golden Era of Theatrical Entertainment, S. 153,  dass Minzner zu Paul Armstrong den berühmten Satz in der Version
If you steal from one author, it's plagiarism; if you steal from many, it's research
gesagt habe, worauf eine „wunderbare Zusammenarbeit“ begann. Da Armstrong 1915 starb und sie gemeinsam die beiden Stücke The Deep Purple and The Greyhound 1911 bzw. 1912 herausbrachten, muss dieser Satz schon in den 1900er Jahren gefallen sein.

Auch John Burke weist darauf indirekt hin, wenn er in Duet in Diamonds: The Flamboyant Saga of Lillian Russell and Diamond Jim Brady in America's Gilded Age schreibt:
„If you steal from one author it's plagiarism; if you steal from many it's research. …“ Reflecting on the latter maxim, Mizner had recently turned to dramatic literature and collaborated on The Deep Purple with Paul Armstrong. (S. 194)
In der Version „If you steal from one author it's plagiarism; if you steal from many it's research“ ist das Zitat auch bekannt als Mizner's law of research (siehe u. a. Hugh Rawson: Unwritten Laws: The Unofficial Rules of Life as Handed Down by Murphy and Other Sages, S. 158) und vor allem als Ferson’s law.

Tatsächlich schrieb Benjamin Felson jedoch im Vorwort zu seinem Buch Chest Roentgenology:
I have borrowed freely from many others … under the supposition that if you steal from one it is called plagiarism, but if you steal from many it is called research. I forget from whom I plagiarized that statement [kursiv jmw]. (S. 409)
Ich habe mich großzügig bei vielen anderen bedient unter der Voraussetzung, dass (…) Ich habe nur vergessen, bei wem ich diese Aussage abkupferte.
Manchmal wird auch Ralph Fross als Urheber genannt, aber er hat nur jemand anderen zitiert – wer es ist, werden wir wohl nie erfahren:
I am reminded of the man who was asked what plagiarism was. He said: „It is plagiarism when you take something out of a book and use it as your own. If you take it out of several books then it is research.“
Ich erinnere mich an einem Mann, der gefragt wurde, was ein Plagiat ist. Er antwortete: „Ein Plagiat ist, wenn du etwas aus einem anderen Buch nimmst und es als dein eigenes benutzt. Wenn du es aus mehreren Büchern nimmst, ist es Forschung.
(In Special Libraries, Bde 23-24. Special Libraries Association 1932, S. 281)
Weiteren Urhebern wie Laurendo Almeida, George Baker, Joe Biden, John Burke, Owen Dixon, Hemingway, Tom Lehrer, Tim McClure, Alfred E. Neuman, Bob Oliver, Howard Roberts,  „a teachers’ convention“ (siehe  Cobb 1940), Oscar Wilde, Steven Wright**, ein uralter Schulwitz, werden die Worte entweder fälschlich zugeschrieben oder sie haben die Worte John Miltons? Charles Caleb Coltons? Joseph Cummings ChaseWilson Mizner? mit leichten Veränderungen – plagiiert (so wie diese vielleicht schon seit Miltons Zeiten) … Und vielleicht gab es den Spruch schon zu Aristoteles Zeiten – schließlich verglich der griechische Philosoph Attikos Aristoteles wegen dessen Plagiaten mit einer Meerspinne, die bei Gefahr einen schwarzen Saft ausstößt, mit dem sie sich vor Feinden verbirgt (siehe Georg Rathgeber: Grossgriechenland und Pythagoras, S. 250).

Aber – wie zitiert man nun diese Worte am besten?

Nun, Miltons Version natürlich unter seinem Namen, alle anderen Versionen unter Mizners, denn er war es wohl, der das Zitat in seiner heutigen Gültigkeit – in Englisch als auch in Deutsch und in anderen Sprachen – prägt, auch wenn der genaue Wortlaut nicht überliefert ist.

*Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben von mir
**Alle Links führen zu Büchern, in denen die betreffenden Autoren zitiert wurden (keine Zitatensammlungen!)

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