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Montag, 30. Mai 2011

"Es rast der See und will sein Opfer haben"


… lese ich gerade in den Ausführungen von Karl Kraus über das Wörtchen „Es“ in der Fackel. Ich googelte nach dem Zitat und stutzte: Kein einziger Treffer zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell, aus dem es stammt, über die Google-Buchsuche. Stattdessen ein Hinweis: „Da [Es] rast der See …“ Und siehe da, Karl Kraus und manch andere haben Schiller falsch zitiert. Tatsächlich sagt Ruodi der Fischer im 1. Aufzug, 1. Szene:
Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind, / Es kann nicht seyn; ‘s ist heut Simons und Judä, / Da ras’t* der See und will sein Opfer haben. 
Stopp.  Ich muss mich korrigieren. Karl Kraus hat später seinen Fehler erkannt und schreibt in seinem Buch Die Sprache auf S. 74:
Man beachte den Unterschied zwischen dem Gedicht „Es rast der See und will sein Opfer haben“ (in der landläufigen Zitierung) und dem Bericht: „der See rast und will sein Opfer haben“.
– Wobei mir allerdings nicht ganz klar ist, warum er von Gedicht spricht, wo das Zitat doch aus einem Schauspiel ist. –

Dafür, dass das Zitat aus Frankreich kommt, wie es in den Wöchenlichen Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg vom 14. 5. 1872 heißt, habe ich keinen Beleg gefunden. Möglich wäre es. Für Hinweise wäre ich sehr dankbar.

*= raset. Karl Ferdinand Becker schreibt dazu: „Es ist zu tadeln, wenn man in diesen Fällen st schreibt, weil dadurch oft die Abstammung des Wortes unkenntlich gemacht wird z. B. in: rast, beeist, bemoost, genest.“ (In Ausführliche deutsche Grammatik als Kommentar der Schulgrammatik. Hermann’sche Buchhandlung 1836,  S. 34).  Und Heinrich Bauer schreibt: „(…) (,deren Apostroph man aber billig nie weglassen sollte: reist oder gar rast, wo jeder das a wie in Rast schärfen würde, (… ).“ (In Vollständige Grammatik der neuhochdeutschen Sprache. Reimer 1830, S. 140)

Aber schon in späteren Ausgaben des Tells wurde das  Apostroph trotz der Ermahnung von Becker und Bauer weggelassen, und seither heißt es

Da rast der See und will sein Opfer haben.

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