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Freitag, 22. April 2011

Oscar Wilde über den Egoismus und die Selbstlosigkeit


Egoismus besteht nicht darin, dass man sein Leben nach seinen Wünschen lebt, sondern darin, dass man von anderen verlangt, dass sie so leben, wie man es wünscht. Und Selbstlosigkeit heißt, andere in Frieden lassen und sich nicht in ihre Angelegenheiten mischen. Der Egoismus ist immer bestrebt, um sich herum eine absolute Gleichheit des Typus zu schaffen. Die Selbstlosigkeit erkennt die unendliche Vielfalt des Typus als etwas Kostbares an, stimmt ihr zu, geht darauf ein, ja, erfreut sich daran. Es ist keineswegs egoistisch, an sich zu denken. Wer nicht an sich denkt, denkt überhaupt nicht. Es ist äußerst egoistisch, von dem Mitmenschen zu verlangen, dass er in derselben Weise denken, dieselben Meinungen haben soll. Warum sollte er das? Wenn er denken kann, wird er wahrscheinlich verschieden denken. Wenn er nicht denken kann, ist es lächerlich, überhaupt Gedanken irgendwelchen Art von ihm zu verlangen. Eine rote Rose ist nicht egoistisch, bloß weil sie eine rote Rose sein will. Sie wäre schrecklich egoistisch, wenn sie von allen anderen Blumen des Gartens verlangen wollte, dass sie nicht nur rot, sondern auch Rosen sein sollten. Unter dem Individualismus werden die Menschen ganz natürlich und vollkommen selbstlos sein, sie werden die Bedeutung der Worte kennen und sie in ihrem freien, schönen Leben anwenden.

Selfishness is not living as one wishes to live, it is asking others to live as one wishes them to live. And unselfishness is letting other people's lives alone, not interfering with them. Selfishness always aims at creating around it an absolute uniformity of type. Unselfishness recognises infinite variety of type as a delightful thing, accepts it, acquiesces in it, enjoys it. It is not selfish to think for oneself. A man who does not think for himself does not think at all. It is grossly selfish to require of one's neighbour that he should think in the same way, and hold the same opinions. Why should he? If he can think, he will probably think differently. If he cannot think, it is monstrous to require thought of any kind from him. A red rose is not selfish because it wants to be a red rose. It would be horribly selfish if it wanted all the other flowers in the garden to be both red and roses. It would be horribly selfish if it wanted all the other flowers in the garden to be both red and roses. Under Individualism people will be quite natural and absolutely unselfish, and will know the meanings of the words, and realise them in their free, beautiful lives.

Oscar Wilde: Die Seele des Menschen im Sozialismus (The Soul of Man under Socialism)

Wildes Worte werden auch gern verkürzt zitiert: „Es ist nicht selbstsüchtig, auf seine Art zu denken. Wer nicht auf seine Art denkt, denkt überhaupt nicht“ („It is not selfish to think for oneself. A man who does not think for himself does not think at all“), oder auch: „Auf seine eigene Art zu denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht auf seine eigene Art denkt, denkt überhaupt nicht“; „Es ist keineswegs egoistisch, an sich zu denken. Wer nicht an sich denkt, denkt überhaupt nicht.“

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