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Mittwoch, 29. Februar 2012

Von wem stammt die Redewendung „Die Seele baumeln lassen“, von Erich Kästner oder Kurt Tucholsky …


… wurde neulich gefragt. Nun, weder noch. Die Redewendung „Die Seele baumeln lassen“ stammt von Werbetextern für Reiseportale, Wellnesshotels, Südseestrände, Hängemattenverkäufer und und und. Mittlerweile ist sie dermaßen abgedroschen, dass man sie tunlichst nicht mehr verwenden sollte. Würde jeder, der sie verwendet, ein 2-Euro-Stück ins Phrasenschwein werfen, könnte man glatt ein Strandhopping durch die ganze Welt machen, bis man den ultimativen Strand zum Seele baumeln Lassen gefunden hat.

Aber waren es wirklich Werbeleute, die diesen Slogan prägten? Oder haben sie ähnliche Worte nur irgendwo aufgeschnappt und umformuliert? Die Berliner zumindest waren es nicht, wie irgendwo behauptet wird.

Erich Kästner hat die Seele zum Glück auch nicht baumeln lassen, denn den guten Mann hätte ich hier unter keinen Umständen zitieren dürfen (siehe http://juttas-schreibblog.blogspot.com/2008/11/abmahnwahn-zitate-auf-der-homepage.html). Aber bei Kurt Tucholsky bin ich fündig geworden. Ihm hat die Formulierung, die ihm da in den Sinn gekommen war, offensichtlich so gut gefallen, dass er sie gleich zweimal verwendete.

1926 schreibt er in der Weltbühne unter dem Titel Vier Sommerplätze:
Auf den Wegen stapfen unwirsche Norddeutsche, Sachsen, als Diroler verkleidet, und solange sie nicht den Mund auftun, ist die Täuschung vollkommen: dann hält man sie für Berliner. Die Männer sehen alle viereckig aus, auf dem Hals tragen sie eine kleine Tonne, daran ist vorn das Gesicht befestigt. Morgens setzen sie es auf, und was für eines –! Die Frauen schlapfen daher. Alles baumelt an ihnen, auch die Seele. Ich war seit zwei Jahren zum ersten Male wieder in Deutschland; in der Heimat kann ich nicht sagen, weil es sich ja um Bayern handelt – wir würden uns das beide verbitten.
(http://www.textlog.de/tucholsky-sommerplaetze.html)
In Schloß Gripsholm: Eine Sommergeschichte, die 1931 erschien, ist er schon weniger bissig und schreibt nicht mehr von Frauen, an denen alles baumelt, sondern ganz beschwingt:
Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele. (S. 28)
Dafür, dass Tucholsky gesagt haben soll, die Mark Brandenburg sei eine Gegend „wo die Seele baumeln kann und nicht nur Amselbullen glücklich sind“, wofür es immerhin 55 Treffer bei Google gibt, habe ich keinen Beleg gefunden. In Schloß Gripsholm schreibt er zwar vom Amselbullen, aber mitnichten bezogen auf die Mark Brandburg, und glücklich ist der Bulle auch nicht:
Ein kleiner Vogel hüpfte heran, legte den Kopf schief und flog dann auf, von etwas erschreckt, das in seinem Gehirn vor sich gegangen war -- wir hatten uns nicht geregt. »Was mag das für einer gewesen sein?« fragte Billie. »Das war ein Amselbulle«, sagte die Prinzessin. »Ah -- dumm - das war doch keine Amsel...«, sagte Billie. »Ich will euch was sagen«, sprach ich gelehrt, »bei solchen Antworten kommt es gar nicht darauf an, ob's auch stimmt. Nur stramm antworten! Jakopp hat mal erzählt, wenn sie mit ihrem Korps einen Ausflug gemacht haben, dann war da immer einer, das war der Auskunftshirsch. Der mußte es alles wissen. Und wenn er gefragt wurde: Was ist das für ein Gebäude? -- dann sagte er a tempo: Das ist die Niedersächsische Kreis-Sparkasse! Er hatte keinen Schimmer, aber alle Welt war beruhigt: eine Lücke war ausgefüllt. So ist das.« Die Mädchen lächelten höflich, ich war auf einmal allein mit meinem Spaß. Nur ein Sekündlein, dann war es vorbei. Sie standen auf. (S. 87)
Falsch ist auch das Zitat auf http://www.schwedisch-translator.de/schloesser/gripsholm.html:
Es lag beruhigend und dick da und bewachte sich selbst. Der See schaukelte ganz leise und spielte plitsch, plitsch am Ufer. Das Schiff nach Stockholm war schon fort. Man ahnte nur noch eine Rauchfahne hinter den Bäumen. Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele. Mariefred ist eine klitzekleine Stadt am Mälarsee. Es war eine stille und friedliche Natur – Baum und Wiese, Feld und Wald. Niemand aber hätte von diesem Ort Notiz genommen, wenn hier nicht eines der ältesten Schlösser Schwedens wäre.
Dieses Zitat wurde gleich aus mehreren Kapiteln von Schloß Gripsholm zusammengestückelt.

Aber noch mal zurück zu den Werbefuzzis. Wer war denn nun der erste, der aus einem der schönsten Klassikerzitate eine Massenphrase gemacht hat? Es war die österreichische Fremdenverkehrswerbung (ÖW), die 1975 Tucholskys „Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele“ kurzerhand zum Werbeslogan „In der Wiese liegen und mit der Seele baumeln“ umformulierte, was im übrigen nicht gerade für deren Kreativität spricht (und wobei die Frage gestattet sei, warum aus „auf der Wiese liegen“ „in der Wiese liegen“ wurde). Seit den 1980er Jahren wurde das Seelenbaumeln zum Synonym für jegliche Art von Entspannung.

Die Frage, ob Tucholsky wiederum sich von „die Füße baumeln lassen“, was soviel bedeutet wie sich gemütlich entspannen, inspirieren ließ oder von Friedrich Müllers Idylle Der Faun
Wir sind nicht der reichen Faunen, die Baechus weidet, also daß sie liegen mit fettem Rücken auf seinem Füllhorn und wollüstig hinab baumeln ihre Füße ins Weinfaß (S. 117)
ist müßig, weil nicht zu beantworten, und führt nun doch zu weit.

(Siehe zum Seelen-baumeln-Lassen auch die Glosse von Charles Lewinsky auf http://www.lewinsky.ch/charles/glossen_0408.html)

4 Kommentare:

  1. Ist das "in der Wiese liegen" nicht eine österreichisch geprägte Sprache?

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  2. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Originalzitat "Und die Seele baumelt mit den Beinen" heißt. Ich komme aber ad hoc nicht drauf, wo ich es gelesen habe.

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    1. Richtig. Es war ein Gedicht und von einer Frau. ich komme aber auch nicht mehr drauf, wer es war. Keiner eine Idee?

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  3. "Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele" ist aber nun wirklich hübsch, dieses aktive "Baumeln mit". Ich stelle mir das vor wie einen kleinen Wimpel. Danke für diesen erhellenden Eintrag, hatte mich gerade nämlich mal wieder, nein, nicht aufgeregt, aber über eine weitere zum Baumeln herausgelassene Seele auf der x-ten Hotel-Homepage gewundert.

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